Kleben fürs Klima?
- lawo66
- 19. Apr. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Mai 2023
Begonnen hats mit Gulaschsuppen-Werfen in Galerien und mit Püree als Beilage zu ausgestellter Kunst. Aktivisten überfielen die Gesellschaft mit aufsehenerregenden Aktionen und schafften ein kollektives Empören. Die Erde zu überfordern ist ja das eine, aber ein Monet mit Gulasch? Das kann nicht sein.

Vielleicht sollte man sich zuerst einmal einigen, wovon man beim Zustand des Klimas (beim Zustand der Erde) überhaupt spricht. Faktum ist wohl, dass die Natur auf den massiven CO2-Ausstoss reagiert. Die Energie der Sonne wird, durch die erhöhte CO2 Konzentration in der Atmosphäre, nicht mehr in der Menge reflektiert, die nötig wäre, um den Status Quo bzgl. des Klimas aufrecht zu erhalten. Unabhängig vom restlichen Raubbau an den begrenzten Ressourcen (Abholzung, Fischerei, Erdöl, Versiegelung der Oberflächen usw.) stellt die globale Erwärmung alleine bereits eine Gefahr dar, deren Nebenwirkungen schon ausreichen, um den Planeten für den Menschen unbewohnbar zu machen. Wenn man diese (wissenschaftlich fundierten) Aussagen verneint oder als natürlichen Zyklus einstuft, wenn man die Zeichen der Zeit nicht wahrhaben möchte und die Warnungen als gefaktes und von dunklen Mächten getriebenes Untergangsszenario abtut, dann verschließt man sich auch der Möglichkeit der notwendigen Anpassung.
Inzwischen gibt es dutzende, mehr oder weniger gleichlautende Forschungsergebnisse, die den Rückgang des Polareises, den Anstieg des Meeresspiegels, die erhöht vorkommenden Naturkatastrophen (weil sich immer größere Unterschiede ausgleichen müssen) sowie die globale Erwärmung bestätigen. Noch nie in der Geschichte gab es soviel CO2 in der Atmosphäre. Kein seriöser Politiker bestreitet das, eigentlich kann kein nachdenkender Mensch das bestreiten.
Wenn man sich erstmal auf diesen Umstand geeinigt hat und nicht möchte, dass die Menschheitsgeschichte in einigen Generationen endet, sollte man was tun. Zum einen könnte man die Strahlungsenergie der Sonne irgendwie reduzieren. Wenn weniger bei uns ankäme, müsste auch weniger reflektiert werden. Die Herausforderung liegt leider im irgendwie des vorletzten Satzes. Der Planet strahlt und strahlt und wird das wohl auch noch ein paar Millionen Jahre tun.
Ein andere Möglichkeit (DIE andere Möglichkeit) ist es, den Reflexionsgrad der Erde wieder zu steigern indem man die Atmosphäre wieder durchlässiger macht. Also muss das hinderliche CO2 entweder aus der Luft gesiebt werden (weniger mit einem Sieb, eher durch chemische Prozesse und Wasserstoff), oder aber - und jetzt kommts - man bläst nicht mehr soviel hoch.
Dieses "weniger hochblasen" bedeutet allerdings Reduzierung, weniger Gewinn oder gar Einschränkung. Das möchte man nicht, niemand möchte das. Auch ich nicht. Und schon gar kein Politiker, der diese Verzichts-Ideen argumentativ verkaufen und anschließend sofort in die Privatwirtschaft wechseln müsste.
Genau da liegt das Problem. Wie vor einem Zahnarztbesuch windet man sich hin und her, findet Ausreden und immer stärkere Medikamente um nur nicht in der Ordination vorsprechen zu müssen. Vergleichbar auch mit einem überzogenen Konto, wo man am besten nicht darüber nachdenkt und sich lieber zur Beruhigung noch eine Uhr kauft, wo man versucht, das Thema auszublenden und auf Selbstauflösung hofft. Doch leider funktioniert diese Strategie weder bei Zahnschmerzen, noch beim Konto, noch beim Klima.
Viele meiner Bekannten versuchen bereits aus anderen Gründen, ressourcenschonend zu leben und Müll zu vermeiden. Vielfaches Recycling und das Bewusstsein, nicht alles unmittelbar besitzen zu müssen trägt genauso dazu bei wie auch die Reduktion beim Energieverbrauch eine Selbstverständlichkeit wird. Aber natürlich sind das alles nicht einmal ein Tropfen auf der heißen Erde (Achtung: Wortspiel) und selbst ein komplett "sauberes" Europa kann alleine, ohne Indien, die USA oder China, das Problem nicht lösen - aber dieser Umstand entbindet den Bürger und unsere Gesellschaft nicht von seiner Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber. Tierschutz hilft auch jedem einzelnen Tier in Mitteleuropa, auch wenn man anderswo nichts davon wissen will. Und auch jede einzelne nicht achtlos weggeworfene Plastikflasche hilft.
Wenn aber dieses Bewusstsein nicht in die Köpfe aller kommt - und dazu bräuchte man die Unterstützung der Volksvertreter, aber: seihe oben - werden wir scheitern. Wenn bereits die Aussicht auf Verzicht unzumutbar erscheint, wenn Populisten diese Empörung weiter schüren und durch Verbreitung von offensichtlichem Unsinn untergraben und wenn das Sankt-Florian-Prinzip zur Selbstberuhigung ausreicht - dann werden wir scheitern.
Natürlich werden die Auswirkungen in reichen, nördlichen Industrieländern noch eine Weile kaschiert und wegkonsumiert werden können. Bangladesch und das Bikini Atoll sind weit weg, dort gabs doch immer schon Probleme mit dem Wasser, oder? Dass auf Hawaii die erste Hausreihe am Strand mittlerweile wegen Unterspülung geräumt werden muss, trifft auch nur wenige Urlauber und fünf Zentimeter Meeresspiegelanstieg wird Österreich nicht sonderlich treffen, kein Skifahren am Gletscher schon eher. Unsere Bauern jammern sowieso immer wegen der Wetterkapriolen und Tempo100 kanns ja wohl auch nicht sein. Am besten, wir warten mal ab, was sich so ergibt. Wenn dann die ersten Holländer zu uns in die Berge kommen, weil Amsterdam dann New Venice heißt, werden wir schon eine Lösung finden.
Schon jetzt prognostizieren Wissenschaftler und Soziologen die nächste Völkerwanderung und die sich daraus ergebenden Probleme. Nicht aus wirtschaftlichen Interessen sondern getrieben vom Willen zu überleben werden Massen aus dem Süden aufbrechen um im kühleren Norden zu leben. Die sozialen Herausforderungen werden enorm werden, die Trennung zwischen arm und reich wird in Auseinandersetzungen enden. Das alles scheint unabwendbar solange man keinen Weg findet, die Weltbevölkerung aufzurütteln. Klima ist keine Thema, dass auf dritte-Welt-Länder begrenzt ist. Ein Bauer in Tansania kann auf nichts verzichten, weil er alles was er hat zum Überleben braucht - ein Standard-Mitteleuropäer könnte aber. Und er muss es auch tun, eher früher als später.

Dieses notwendige Aufrütteln schaffen die sogenannten Klimaaktivisten durch ihre Aktionen. Natürlich ist der Wirkungsgrad einer provokanten und nahezu unverschämten, wenn auch nur temporären, Verkehrsstörung um ein Vielfaches größer, als eine gepflegte Podiumsdiskussion mit versierten Politikern (die zwar genau wissen, um was es geht, sich aber aus genannten Gründen lieber ihrer Floskelgeneratoren bedienen) und Publikum, das sich sowieso schon Gedanken zum Thema macht. Ein Verkehrsstau trifft allerdings jeden (für Blaulicht-Ausnahmen muss gesorgt werden) und ist sozial gerechter. Arm und reich, die Shopping-Queen und der gestresste Manager, Studenten und Rentner - alle sind betroffen und kommen zu spät. Die Aktionen laufen völlig gewaltfrei ab, sogar die Polizei wirkt inzwischen entspannt weil sie erkennt, dass keine unmittelbare Gefahrensituation herrscht. Man verliert "nur" ein paar Stunden Zeit und könnte sie im besten Fall auch dazu nutzen, eingestaubte Kontakte zu kontakten, zu lesen oder miteinander zu sprechen - notfalls auch, um die unverhoffte freie Zeit einfach zu genießen.
Wahrscheinlich (ganz sicher) kann man auch anders demonstrieren und auf Missstände hinweisen. Und auch Podiumsdiskussionen haben ihre Berechtigung. Jede Art von bewusstseinsfördernder Maßnahmen ist willkommen, um Themen unter die Leute zu bekommen. Auch unbequeme und störende.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Mehrheit der Betroffenen auch erkennt, das das eigentliche Übel nicht die Verspätung ist.
Nachtrag am 5.Mai.2023:
Nachdem sich vor einigen Tagen von offizieller Seite getraut wurde darauf hinzuweisen, dass in Zeit von potentieller lokaler Wasserknappheit über das Befüllen privater Pools mit Trinkwasser nachzudenken sei, zeigt sich die o.a. Logik der Ignoranz und Nichteinsicht in voller Pracht. Die Leserbriefecken der Tageszeitungen gehen über mit Hinweisen, dass man bereits Müll trenne und Regenwasser sammle, man zeigt erbost auf andere, die viel mehr verbrauchen (z.B. Thermenbetreiber) und überhaupt sind solche Politiker und Wissenschaftler nicht wählbar bzw. keine richtigen Experten.
Wieder einmal zeigt sich die Beschränktheit menschlichen Denkens und die Unfähigkeit auf unbequeme Tatsachen ohne direkten Zwang zu reagieren. Eine Bezugseinschränkung wird erst kommen, wenn die ersten Gemeinden den Notstand ausrufen müssen - und selbst dann werden wasserreiche Gemeinden noch zuwarten, um ja keine Wählerschaft zu verprellen.



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