Last Christmas - thank God it´s over
- lawo66
- 28. Dez. 2023
- 8 Min. Lesezeit

Genau genommen beginnen Vorbereitungen auf das Fest der Feste bereits im August. Ziemlich genau dann, wenn die Kekse der letzten Saison langsam zu Neige gehen. Es gibt beim Sommerfest die ersten Google-Suchen bezüglich des Wochentages des Heiligen Abends, wie man seine Urlaubstage möglichst effektiv über die Feiertage verteilt und auch, ganz wichtig, was man beim kommenden Weihnachtsfest unbedingt anders machen möchte um a) schlechte Stimmung zu vermeiden oder b) überhaupt eine Weihnachtsstimmung zu erhalten oder auch c) möglichst konfrontationsfrei durch die Untiefen dieses Familienfestes zu schippern.
Auch das obligatorische Wichteln bzw. das Zuweisen der Opfer (=Wuchtel) fällt in diese frühe Phase. Nachdem sich der Namen des zu Beschenkenden, wahrscheinlich altersbedingt, kaum 6 Monate lang gemerkt werden kann (der dazugehörige Notizzettel verschwindet bereits nach 2 bis 3 Tagen) nutzt man in modernen, aufgeschlossenen Familien inzwischen Mobile-Wichtel-Apps und Speicherung der Ziehungsergebnisse in der Cloud. Der Vorteil des Wichtelns liegt auf der Hand. Man hat nur einen einzelnen Gegner und kann dessen Vorlieben, Stärken und Schwächen über Monate hinweg studieren und analysieren. So wird es ein Leichtes, das passende, das absolut passende Geschenk für den Wuchtel zu finden. Es ist gerade mal August und somit noch jede Menge Zeit.
Ab September bereit sich auch der Handel langsam aber sehr, sehr sicher auf das Fest vor. Schon gibt es die ersten Spekulatius in den Regalen (nicht nur in der Form erinnern sie an die Verpflegungspakete beim Heer, auch das Ablaufdatum ist anscheinend ein Ähnliches). Ab Oktober läuft dann die Vorbereitungszeit, der Prä-Advent. Nikoläuse und Lebkuchen sind die ersten, die in die Regale gefüllt werden. Ankündigungen von Krampusläufen ab Anfang November (aus Termingründen) finden sich an jedem zweiten Baum. Und erstmals wird darauf hingewiesen, dass jetzt die ruhige Zeit kommt. Besinnlichkeit und Ruhe, wohin man schaut. Die Kaufhäuser starten jetzt auch mit der akustischen Untermalung dieser Ruhe, notfalls auch mit mehr Dezibel, falls die Konkurrenz gar arg so laut ist. Kommt man als Kunde in einen dieser aufgerüsteten Einkaufstempel, dann gibt es kein Entkommen vor dem kollektiven Frohlocken. Angebote für das Fest, wohin man auch schaut. Klassiker, die man einfach braucht und eigentlich schon immer gebraucht hat, wechseln sich mit Innovationen der letzten Generation ab - die heile Welt der Werbung bricht über jeden herein, sobald man das Haus verlässt.
Aber auch in den eigenen vier Wänden ist man diesbezüglich gefährdet. Ab Mitte November ist man dabei, ob man möchte oder nicht. Das eventspezifische Werbefernsehen startet durch, die XXL-Familie trägt rot und nicht nur durch die Printmedien weiß man von exklusiven, trotzdem leistbaren Weihnachtsmenüs (die auch die Stars aus Film & Fernsehen konsumieren). Auch das Internet bewirbt den kommenden Konsumhöhepunkt und pflastert das Browserfenster mit eindeutigen Informationen. Aus Erfahrung weiß man: wenn die Parfum-Werbungen auftauchen, dann wird’s Weihnachten.
Ich selbst bin kein Weihnachtsmuffel. Im Gegenteil - jedes Jahr, so ab Mitte/Ende November, stellt sich eine größtenteils positive Stimmung bezüglich Weihnachten ein. Ich freue mich auf die Besuche (aktiv und passiv), auf die Gemütlichkeit, die sich bei Rumtee und Feuer im Ofen einstellt und auch die ersten 50 Durchläufe von Last Christmas stecke ich locker weg. Eine schöne Zeit – dieser Prä-Advent. Die hauseigene Ehefrau plant die Keksproduktion bzw. die Beschaffung (glücklicherweise müssen wir nicht alles selbst backen, was wir essen möchten), die anstehenden Dekorationsarbeiten werden zugeteilt und erste Einkaufslisten werden erstellt. Ach ja, einen Baum brauchen wir auch noch.
Ab dem ersten Dezember wird’s dann richtig ernst: der Internetradiosender wird neu kalibriert, die Zeitschaltuhren für die Außenbeleuchtung der Besinnlichkeit werden überprüft und justiert, private Kalender werden abgeglichen und mit Aufgaben befüllt und langsam sollte man sich auch um seinen Wuchtel kümmern. Allerdings stellt sich eine gewisse Sättigung ein, was die Aufnahmefähigkeit eindeutiger Melodien angeht, auch Last Christmas habe ich schon mal lieber gehört. Der halbe Ort wird gesperrt, weil der Krampuslauf mittlerweile zum Event hochgerüstet wurde und der Kommerz eben Platz braucht. Zwei Dutzend Krampusse poltern über den Hauptplatz. Die Maskerade erinnert an misslungene Orks, viel Blut und Eiter, gefletschte Zahnreihen und glühende Augen – keine Ahnung wie Kinder dieses Szenario wegstecken, ich selbst hätte wohl nächtelang Albträume gehabt. Auch die Geschäfte kennen nun keine Gnade mehr. Es wird beschallt, was das Zeug hält und die mir bekannte Menschheit scheint nun mehr und mehr getrieben und unruhig. Das erwartungsvolle Frohlocken weicht dem Konsumrausch. Schon laufen die ersten Gruppen durch die Wohngebiete um die Bevölkerung über die Freude des Gebens, gerade in diesen Zeiten, zu erinnern wobei sie glücklicherweise auch gleich eine Möglichkeit anbieten können, um das schlechte Gewissen zu beruhigen und wer ab jetzt noch in ein Einkaufszentrum geht, hats nicht anders verdient.
Bei uns selbst läuft es ganz entspannt. Die Adventzeit ist zwar gespickt mit allerlei Weihnachtsfeiern (nicht immer kann man drücken), aber die Christmas-Big5 sind eingetaktet:
Die Geschenke wurden besorgt und sind ordnungsgemäß verpackt und beschriftet.
Der Baum steht im Wasser in der Garage und wartet auf seinen großen Auftritt.
Adventskranz ist gebunden, bestückt und die Kerzen leuchten, wenn man sie anzündet.
Der Heilige Abend sowie der Christtag sind geplant. Sowohl zeitlich als auch kulinarisch.
Atemspray und Kopfschmerztabletten sind ausreichend vorhanden.
Nachdem unsere Familie zahlenmäßig übersichtlich erscheint, wird das in ihr innewohnende Konfliktpotential leicht und öfters unterschätzt. Wir bestehen zudem aus drei Generationen, was an sich schon genügend Unterschiede in Ansicht, Habitus und Einstellung beinhaltet (nicht umsonst gibt es einen eigenen Leitfaden für intergenerative Projekte des Sozialministeriums), aber auch innerhalb einer Leistungsgruppe gibt es verschiedene Zugänge zu Arbeit, Sport und Spaß, so dass letztendlich jederzeit und ausreichend für unterschiedliche Möglichkeiten zur stimmungsbeeinflussenden Aktivität gesorgt ist.
Das obligatorische „machts euch nur nicht zu viel Mühe“ der Gäste nahmen wir in diesem Jahr tatsächlich ernst und einigen uns auf ein sehr bescheidenes Mahl für den Abend des 24.ten. Eine Gemüsesuppe zu Mittag, bei Bedarf kiloweise Weihnachtskekse dazwischen und eine Würstel-Orgie samt Kartoffelsalat am Abend soll es werden – weniger Mühe kann man sich kaum machen (noch dazu, weil die Gemüsesuppe extern produziert und mitgebracht wird). Derart verköstigt bleibt auch der Hausfrau/den Gastgebern genügend Zeit, um an Diskussionen und Gesprächen teilzunehmen. Ganz im Sinne der Familie also, die es nicht möchte, dass die Köchin an diesem Abend zu viel Zeit mit dem Kochen bzw. Servieren der Speisen verbringt. Wir sind sehr zufrieden mit unseren Vorbereitungen und gelassen verbringen wir die letzten Tage vor Weihnachten, wir besuchten Weihnachtsmarkt und Konzert und bemitleiden alle, die jetzt noch hektisch in den Vorbereitungen stecken.
Sehr befremdlich finde ich die Medienberichte, nach denen in den kommenden Tagen ein weiterer Sinn stecken sollte. Neben gesteigerten Umsatzzahlen und geballtem Frohlocken geht’s wohl auch noch um den Geburtstag eines Prominenten. Meine Zeitung überschlägt sich mit Berichten über ein Heiliges Land, diverse Sakralbauten (Verkündigung-, Geburts- und Grabeskirche) sowie Stellungnahmen von Kennern und Funktionären der christlichen Kirche. Auch Kinder scheinen höchst interessiert und so konfrontieren zehnjährige den Herrn Bischof mit der Frage ob nun die Geschenke oder doch das Weihnachtsevangelium wichtiger seien (mich interessiert da viel eher, wie viele zehnjährigen wissen, was ein Evangelium ist). Egal, das Merchandising läuft, die entsprechenden Events werden beworben und medial ist man sowieso gut aufgestellt.
Die Zeit vergeht und plötzlich ist der Vorabend des Hauptabends da. Dann auch noch der Morgen des Vierundzwanzigsten. Jetzt geht’s los. Die Checklisten wurden positiv abgearbeitet und wir sind bereit. Einzig die Witterung passt sich nicht den Werbebildern an, kein Stapfen durch meterhohen Schnee, kein Knirschen unter den Sohlen, weder Eis noch Zapfen sind irgendwo zusehen. Dafür misst man etwa 10 Grad plus und die ersten Primeln drängen durchs Laub. Um Weihnachten in Badehosen zu feiern, muss man nicht mehr nach Australien oder Südafrika reisen, auch der Süden Österreichs wird immer verlässlicher schneefrei und nicht frostig.
Gegen Mittag haben sich alle eingefunden und unwillkürlich drängt sich mir der Klassiker High Noon auf, als ich meine engere Verwandtschaft an unserem Tische sitzen sehe. Natürlich sind alle Mitspieler erwachsen genug, aber ein besonderes Maß an Empathie ist nicht nötig, um Unausgesprochenes zu bemerken. Eher ein Voltmeter. Nachdem unser Haus leider nur eine Küche besitzt, muss also meine Frau ihre Schiegermutter samt Schiegermuttersuppe an den Herd lassen, was nicht nur physikalische Auswirkungen hat, sondern vor allem psychologische. Man ist es eben von zuhause gewohnt, dass Teller am Herd von links nach rechts befüllt werden und dass in eine vollkommene Gemüsesuppe auch aufgeschnittene Frankfurter (=Wiener) Würste zu beinhalten hat. Basta. Glücklicherweise ist auch unser Sohn anwesend, an dem man sich abarbeiten kann. Sei es dessen Bartwuchs oder sein Pullover, seine Einstellung insgesamt oder zum Job im Besonderen – für jeden ist etwas dabei und das gemeinsame Ziel stellt ein Nichtmiteinenderredenmüssen für einige Stunden sicher. Fremde in der Bahnhofshalle haben sich mehr zu sagen. Eine geplante Auflockerung erfährt der Nachmittag durch den Start eines Kartenspieles. Die Regeln sind übersicht- und verständlich und für 30 Minuten gibt’s Gelächter und Frohsinn. Davon werden wir noch lange zehren.
Das anschließende Wichteln endet im selben Desaster wie im letzten Jahr. Wieder blieb ein Wuchtel über und wieder gab doppelt Begünstigte und nebenbei noch andere Geschenke, immer mit dem Hinweis, dass das nichts mit diesem Weihnachten zu tun hat. Beim Schenken, zumindest interpretieren wir das so, geht es nicht um Wert, Größe oder Gewicht, vielmehr um die Überlegungen, die der Schenkende bezüglich des Beschenkten bei der Auswahl eines Geschenkes hat. Ein möglicher Bezug zum Empfänger erhöht somit sehr dramatisch den tieferen Sinn, der hinter einer Schenkung liegt. Für uns jedenfalls scheint diese Geschenke-Phase abgeschlossen zu sein und auch die Wichtel/Wuchtelei ist einfach zu komplex für den jährlichen Hausgebrauch.
Kurz danach ist auch die Zeit des Augenrollens und des Sich-deplaziert-Fühlens vorbei, man möchte so schnell wie möglich nach Hause, weil es schon spät geworden war, es ging auf 18:00 zu, und überhaupt hat man die letzte Stunde auf der Couch mit ORF TV sehr genossen, gesprochen hatte man ohnehin schon genug. Um etwa 19:00 ist dann der ganze Spuk vorbei und der anschließende Spaziergang eint meine Frau und mich in vielerlei Hinsicht.
Der nächste Morgen. Ausgeruht und entspannt sitzen wir beim Frühstück. Heute Nachmittag liegt es an uns, (höfliche) Gäste zu sein und wir haben genügend Zeit, um uns in aller Ruhe vorzubereiten. Ein ausgiebiger Spaziergang (mehr Genuss und weniger Stressabbau wie gestern Abend), viel Gequatsche und Spaß, ein Business-Lunch und die erforderliche Ruhe danach und schon sind wir auf dem Weg nach Knittelfeld. Dieses Treffen wird wohl ganz anders sein als die letzte Familienfeier. Liebenswert chaotisch und, wie immer, mit vielen umgesetzten Gedanken der Vorbereitungszeit, die sich unter anderem in der Tischdeko wiederfinden. Nach dem spartanischen Mahl des gestrigen Abends biegen sich heute die Tischplatten (nur bildlich) und man kann nicht sagen, welche Sauce mit welchem Fleisch die Bestlösung darstellt. Alles schmeckt wunderbar, Fisch und Scampi, Salat und Bier – alles passt (und von allem wurde viel zu viel vorbereitet). Wir sind zu acht (sechs davon sehe ich nur 3–4-mal im Jahr, Weihnachten eingerechnet) aber es scheint, als hätten wir uns zuletzt gestern getroffen. Unkompliziert trifft es nicht ganz, aber es beschreibt das Durcheinander am besten. Natürlich ist dieses Treffen nicht geprägt von tiefgründigen Analysen zur Migrationspolitik oder dem Bildungssystem – aber das muss auch nicht sein bei einer Weihnachtsfeier. Die Probleme der Welt sind morgen auch noch da und heute beschäftigen wir uns mit uns selbst. Die Verwandtschaftsjugend bietet viele berufliche Themen wie Neuorientierung, künstlerischen Überflug, Karrieresprung und gelebte Stabilität aber auch Internetskepsis und Urlaubspläne an. Wir alten steuern die Gebiete Krankheit und Vermeidung von Übergewicht bei. Das abschließende Wichteln ist wie immer ein highlight. Jeder Wuchtel hat einen Wichtel und die ausgedachten Überraschungen sind allesamt bemerkenswert und mehr als gelungen. Ich beschließe insgeheim, dass ich demnächst auch einen 3D-Drucker benötige. Unglaublich, was man mit dem Ding alles machen kann, wenn man es machen kann. Nachdem mir langsam die natürlichen Zähne abhandenkommen, wäre das womöglich eine kostengünstige Alternative. Jedenfalls schein ein 50cm großer Pferdekopf (als Beleuchtungsunterbau) kein Problem zu sein, wenn man weiß, wie es funktioniert. Warum mich mein Wichtel ausgerechnet mit einer Decke samt Homeoffice-Kissen, Bier und Rätselheft in Verbindung bringt, muss ich demnächst auch noch erfragen.
Der zweite Weihnachtstag verläuft ruhig und entspannt. Ich denke sowieso, dass dieser Tag nur als Reserve angehängt wurde, um all die Leute zu besuchen, die man eigentlich nicht mag und für die die Zeit am fünfundzwanzigsten zu kostbar ist. Wir haben keinerlei Termine am Stephanitag.
Heute, am 27. Dezember ist wieder alles normal. Die Aufrufe zur Besinnlichkeit, Menschenwürde und Mitgefühl sind verhallt, Achtsamkeit und das Miteinander sind nicht mehr das Ziel, anstelle von Christmas-Kitsch kommt jetzt Action-Sylvester und die alles-muss-raus Kampagnen laufen an. Die Restbestände an Weihnachtsschmuck und eventspezifischen Süßigkeiten werden im Handel unter Wert verscherbelt, man braucht jetzt Platz für den Jahreswechsel und seine Böller und Raketen. Happy New Year.



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