Albanien 2022
- lawo66
- 10. Feb. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Feb. 2023
5 Leute, 4 Zimmer, 8 Liter Bier
Endlich war das Reisen wieder möglich. Corona wurde verdrängt und die Grenzen, ganz im Sinne der Tourismusbranche, waren wieder offen. Man konnte, auch ohne aktuellen PCR- oder Spucktest, Impf- oder Krankheitsnachweis und/oder grünen Haken in einer App den Großteil von Europa wieder besuchen.

die Google-Earth-Datei gibts auf der Touren-Seite als download
Eine zweiwöchige Motorrad-Rundreise sollte es werden. Zusammen mit anderen Unerschrockenen wollte ich in Summe etwa 3000 km durch einige Balkanstaaten zurücklegen. In einer Mischung aus Genuss fahren (der Weg ist das Ziel) und doch auch mit Herausforderungen wie z.B. Schotterpassagen versehen.
Der Meister selbst (das bin ich!) übernahm die Planung und schon Monate vor dem Start legte ich voller Tatendrang die Eckdaten fest. Ich hatte bereits einige Touren geplant und weiß, dass man die Parameter Fahrzeit und zurückgelegte Entfernung einerseits auf den zu erwartenden Untergrund und auch an die Teilnehmer anpassen sollte. Nur war eben unsere Gruppe nicht besonders homogen. Altersgruppen von 30 bis 67 waren vertreten, ebenso zwanzigjährige Erfahrung und Neu-Tourer, vier Männer und (m)eine Frau.
Es gibt Ansichten, deren Vertreter die Begriffe Motorradtouren und Planung gegenseitig ausschließen. Befürwortern dieser Meinung nach muss man wild und frei sein auf da Maschin. Gesetzlose, die jedem Wind und Wetter trotzen, einmal pro Woche duschen und abends, den Sonnenuntergang betrachtend, mit einer Flasche Whiskey auf einem Felsen am Meer nächtigen.
Meine entsprechende Rückfrage zu diesem Thema war relativ schnell erledigt. Null zu fünf Stimmen für die Desperado-Version und 5:0 für die Warmduscher-Variante (wobei Michi, der Jungspund, wahrscheinlich beides mitgemacht hätte – aber man ist ja demokratisch und außerdem hatte ich notfalls zwei Stimmen).
Also wurde geplant und ich war in meinem Element. Google-Earth, Booking und Garmin sei Dank passiert das heutzutage digital, man braucht keine zehn verschiedenen Karten im A1-Format mehr, man zoomt im Internet runter bis zum einsamsten Feldweg und weiß daher genau, was einen erwartet – dachte ich.
Die Route durch Slowenien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Albanien, Kroatien und über Italien zurück nach Österreich war schnell abgesteckt.
Für jeden der zehn Fahrtage (zwei Tage gab ich der Truppe frei, großzügig wie ich bin und weil mir zuhause mit Kuchenentzug gedroht wurde) standen, gespeist aus meinem Erfahrungsschatz, bereits ein paar Fixpunkte fest und die tägliche Fahrzeit sollte sechs Stunden nicht übersteigen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Schnell- und Landesstrassen, von Gegend und Stadt (wegen der Kultur) sollte es sein und jede Menge Kaffeepausen waren auch vorgesehen.
Besprechungen und das notwendige Abnicken der Details durch die Crewmitglieder wurden mit Bier besiegelt. Es wurden Aufgaben innerhalb des Teams vergeben. Motorräder wurden mit den notwendigen Vignetten versehen und Claudia wurde tiefergelegt, und zwar direkt auf die Batterie ihrer Tiger. Dadurch hatte sie „festen Grund“ beim Stehenbleiben und verzichtete dafür gerne auf eine gepolsterten Hintern.
Wir hatten Werkzeugsätze dabei, Reservekanister, ein zweites Navi und Reifenflickzeug. Wir bereiteten uns wie Profis auf dieses Abenteuer vor und waren von uns begeistert. Die Vorfreude stieg je näher der Termin zur Abfahrt rückte.
Das zweite, weit größere, Planungsthema war die Beschaffung bzw. Buchung von Unterkünften (man erinnere sich: Warmduscher-Ausführung). Fünf Motorradfahrer, die vier Zimmer für eine Nacht benötigen sind der Traum eines jeden Hoteliers. Dementsprechend aufwändig war dieser Teil der Planung auch, sobald man die entsprechenden Parameter in die Suche eingebunden hatte, verschwanden die angebotenen Zimmer im Zielgebiet vom Bildschirm. Doch mit viel Geduld und etwas Hartnäckigkeit konnten alle neun erforderlichen Buchungen vorgenommen werden. Am Ende residierten wir in 4-Sterne Etablissements wie dem Hotel International, dem Riverside Residence oder dem Hotel Chicago.

Und schließlich gings dann los! Nachdem der erste Tag als Anreisetag per Autobahn geplant war, gabs auch keine besonderen Vorkommnisse, außer, dass es einfach geil war, zu fünft in Richtung Süden zu brausen, das drohende Gewitter bis weit hinter Zagreb immer im Rückspiegel. Wir kamen am späteren Nachmittag im Zentrum Sarajevos an und tauchten, wie geplant, ab diesem Abend in eine andere Welt, eine andere Kultur ein.
Auf Bosnien folgte Montenegro, Kosovo und Albanien. Wir durchquerten einsame Hochebenen, fuhren über noch einsamere Bergstraßen und durch winzige Dörfer. Überall gab es weit mehr Moscheen als Kirchen, mehr Teehäuser als Bierausschank, fremde Sprachen und fremde Bräuche. Wie wir lernten, wird in diesen Ländern nicht gefrühstückt, und wenn, dann ohne Kaffee. Aber unsere Gastgeber, egal ob im Großstadt-Hotel (Shkoder) oder im Privathaushalt im Hinterland Montenegros (Kolasin), waren sehr bemüht, uns zufrieden zu stellen. Da wurde auch mal das private Sonntagsgeschirr ausgepackt für den Frühstückskaffee der Gäste.

Wir verzichteten auf die geplanten Schotterpassagen (ein wenig wild hätten wir schon sein dürfen, aber wollen haben wir uns nicht getraut), weil bereits die „asphaltierten“ Bergstraßen einen Schotteranteil von bis zu 50% aufwiesen und die
ausgewiesenen Geheimwege eher nach Panzer oder Esel verlangten. Für uns Möchtegern-Abenteurer reichten die halbwegs gepflasterten Wege allemal als fahrerische Herausforderung, vor allem auch, weil erstens, bezogen auf die Qualität, Asphalt nicht Asphalt ist und, zweitens, asphaltiert nur bei uns zuhause bedeutet, dass ein Großteil der Straße asphaltiert ist. In Albanien reicht für dieses Attribut eine durchschnittliche Versiegelung von einem Drittel. Auch der Nutztieranteil als Verkehrsteilnehmer scheint mir bei uns sehr viel geringer.

Die erlebte Gegend war einfach traumhaft, grünblaue Seen und Flüsse, ursprüngliche Felsformationen und Verkehrswege, die sich nach der Landschaft richten und nicht umgekehrt, machten jeden Kilometer zum Erlebnis.
Nachdem wir größtenteils abseits der Hauptverkehrsadern unterwegs waren, hatten wir kaum (Gegen)Verkehr. Wir waren allein auf den Straßen und mehr als einmal wurde der Tankinhalt bei einigen von uns gegen Ende einer Tour durch unbewohnte Gebiete recht übersichtlich. Aber was sollte passieren? Wie erwähnt hatten wir einen Reservekanister dabei.
Bei fünf Motorrädern muss eine gewisse Disziplin beim Fahren herrschen. Zum Beispiel überholt man im Konvoi fahrend nicht. Man fährt seitlich versetzt und lässt genügend Abstand zum Vordermann. Auch die Positionen sind vergeben. Als Kehrwagen und Navigator fahren Karli und ich als Letzter bzw. Erster.
Zumindest wir beide sind auch durch Helm Funk verbunden und wenn ich von ihm nichts Gegenteiliges höre, ist bei allen Fahrern „dazwischen“ alles in Ordnung. Das ist sinnvoll und wird schon seit vielen Ausfahrten so umgesetzt. Die Beste aller Claudias fährt direkt hinter mir, weil sie, ebenso per Funk gekoppelt, gerne vorgewarnt wird, falls sich vor uns die Straße auflöst oder eine Herde Schafe nach der nächsten Kurve auf sie wartet.
Meine Frau ist schon außergewöhnlich, was die Belastbarkeit bei derartigen Unternehmungen angeht. Nicht nur, dass sie jeden der eingeschlagenen Wege mitmusste, sich auf Etappen wiederfand, die sie, bei vorheriger Kenntnis, wahrscheinlich abgelehnt hätte, nicht nur, dass die bei 40 Grad im Schatten (=60 Grad in der Sonne plus etwa 90 Gad vom Motorblock) das vorgegebene Tempo durchhielt und auch beim Einparken einen Entwicklungssprung der Extraklasse hinlegte – sie hatte auch noch Spaß an der Tour, war immer gut gelaunt und brachte ein wenig Kultur in die Truppe. Ein großes Lob und Danke dafür, Schatzal.
Ihr neues Motorrad war dabei Segen und Fluch zugleich. Einerseits ist es als Tourenmotorad genau auf diese Art zu fahren ausgelegt und bietet daher entsprechende Features, andererseits ist das Teil nicht klein und schon gar nicht leicht. Deswegen war es für mich immer sehr beruhigend, sie im Rückspiegel senkrecht zu sehen und auch bei kniffligen Passagen konnte ich sie kaum abschütteln.
Wir hatten uns angewöhnt, dass ich bei engen oder unübersichtlichen Stellen per Funk eine Warnung ausgab, je nachdem, ob ein entgegenkommendes Fahrzeug (oder eine Kuh) die Straße eng machte oder die Straße plötzlich weg war, gabs von mir eine entsprechende Mitteilung nach „hinten“.

So auch bei Pluzine in Montenegro. Wir fuhren an einem idyllischen See entlang, rechts das Wasser, links der Fels, als ich darauf hinwies, dass es „vorne scharf links“ weitergeht. Gesagt, getan und zugegeben, scharf links war etwas untertrieben, es war eigentlich eine Spitzkehre, die noch dazu direkt im Inneren eines Felsens stattfand. Eines unbeleuchteten Felsens.
Da war wohl ein neuer Durchbruch, eine neue Straßenführung gebaut worden, auch im Kartenmaterial war diese Straße bereits vorhanden – aber die Realität sah anders aus. Der Boden war noch nicht asphaltiert, im Tunnel gab es weder Licht noch ein Wassermanagement und es ging im Finsteren ziemlich bergauf. Alles in allem ein Grund zu verweigern – und das tat meine Frau dann auch. Ihrer Meinung nach verschwand ich plötzlich vor ihr, ich löste mich sozusagen auf (was ich nicht tat).
Über Funk verfolgte ich, mitten im Berg stehend, Mutmaßungen meiner Kollegen wo ich denn abgeblieben sein könnte und mein „im Tunnel“ konnten sie nicht nachvollziehen, weil die Einfahrt nicht nach Ausfahrt aussah, sondern mehr nach Höhle. Schließlich siegte aber die Abenteuerlust und, wieder vereint, durchfuhren wir noch drei weitere, unfertige Sprenglöcher in diesem Berg. Als wir dann auch noch ein entgegenkommendes Riesengefährt (ein Steineausdemberg-Fresser?) der Strabag meisterten, um kurz darauf wieder im Sonnenlicht zu stehen, schmeckte das lauwarme Wasser im Proviant gleich noch einmal so gut.
Die erste Nacht in Albanien verbrachten wir im ersten Haus am Platz - dem Hotel International in Fushe Araz. Nachdem der Hoteldirektor, der auch Eigentümer, Kellner, Empfangschef und Gemüselieferant der Hotelküche war, voller Verwunderung zur Kenntnis genommen hatte, dass wird trotz Buchung auch wirklich gekommen waren, wurden uns die besten Zimmer zugewiesen. Teilweise fehlte zwar etwas Putz an den Wänden, es waren auch nicht alle Kabel und Leitungen dort, wo sie hingehörten, und die Nasszelle verdiente ihren Namen zu Recht, weil nämlich Wasser aus allen möglichen Richtungen austrat, wenn erst das Ventil geöffnet wurde – aber die Betten waren trocken und warm, wir waren satt und auch unsere Mopeds hatten einen zugewiesenen Platz. Ebenso wenig wie albanischer Asphalt nicht wirklich Asphalt bedeutet, entsprechen vier (albanische) Sterne auch nicht vier Sternen.
Weiter gings durch das albanische Bergland in Richtung Küste, durch Montenegro nach Kroatien, wo wir in Dubrovnik ein vierstöckiges Haus im Stadtzentrum für uns hatten, das teuerste Bier der Tour genossen und selbst unsere Muppets nicht viel Grund zum Meckern hatten.
Es folgten noch Stopps in Omiz (im Luxushotel), in Zadar (die teuersten Parkplätze der Welt sowie ein reisefreier Tag, den wir auf dem Waser verbrachten) und auf Krk (Privathaus mit Topaussicht) bis wir, schneller als erwartet, plötzlich unsere letzte Übernachtung der Tour in Bovec vor uns hatten. Nach einer letzten Herausforderung das Essen betreffend (Merksatz: „man kann nicht zu fünft an einem 4-Personen-Tisch Platz nehmen“) verbrachten wir bei Pizza und Bier doch noch einen würdigen Abschlussabend.

Das Wetter hatte tatsächlich volle zwei Wochen gehalten und, abgesehen von einem Stromausfall bei Honda, gab es keinerlei technische Gebrechen an den Motorrädern. Wir hatten auf fast 3000 gefahrenen Kilometern weder das Werkzeug noch den Reservekanister benötigt (der Kanister selbst war niemals aufgefüllt worden, er hatte nie einen einzigen Tropfen intus und kam nagelneu, weil unbenutzt, zurück nach Hause) und auch wir kamen gesund und um einige Erfahrungen und Erlebnisse reicher, zurück nach Österreich.
Natürlich macht es einen Unterschied, mit wem man solche Touren fährt, die teilnehmenden Mentalitäten sollten einigermaßen kompatibel sein. Und das nicht zuletzt deshalb, weil in den zwei Wochen nicht alles wie geplant laufen kann, weil sich zweispurige Straßen als Feldweg herausstellen oder weil das Hinterland im Kosovo sich nicht an die Routenplanung hält und ganze Orte nicht mehr da sind, wo sie sein sollten - stattdessen aber ein Stausee den vorgesehenen Weg kreuzt. Ich war froh, dass meine Mitfahrer diesbezüglich ziemlich entspannt waren und mich unterstützen, wo sie nur konnten.
Wir brauchten und hatten die Flexibilität in Punkto Zimmeraufteilung, Frühstückseinkauf und ergänzten uns nicht nur bei den abendlichen Bier-Bestellungen. Die Tour-Tage waren entspannt, aber abwechslungsreich und auch fordernd. Es gab glücklicherweise keinerlei brenzlige Situationen, wir hatten Spaß und auch durch aufgedrängte Versicherungen (Kosovo) ließen wir uns die Freude am Fahren und Erkunden nicht nehmen.



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